Übersetzen ist für Olga Radetzkaja „eine darstellende, eine Verwandlungskunst, trügerisch von Natur“. Was entscheidet über das Gelingen dieser Kunst? Dazu ein Auszug aus dem Text „Alle sein“ :

„Nach meiner Erfahrung  ist es nicht die biographische Übereinstimmung (wie gesagt, ich spiele nicht die Erlebnisse meiner Autorin oder ihrer Figuren, ich spiele den Text), schon gar nicht in Form geteilter Gruppenzugehörigkeiten, sondern viel Spezifischeres und Unwägbareres. Ob ich einen Zugang finde, die richtige Stelle für Absprung und Landung, entscheidet sich an einem Rhythmus, der mir plötzlich in die Satzglieder fährt, einer Verbindung von Schwere und Leichtigkeit, Hitze und Kälte, die mir vage vertraut ist, einer aufblitzenden Freude, die ich im Hinterkopf spüre, einem Gelächter oder unterdrückten Stöhnen, das mir in der Kehle kratzt und mich – auf Ideen bringt. Diesen Faden – eine sehr individuelle und zugleich ganz elementare Art der Verbindung – gilt es im Folgenden nicht zu verlieren.“

Der gesamte Text, einschließlich des Postskriptums zur „Frage der Legitimität“, online bei “Toledo Talks“ mit zahlreichen anderen Beiträgen unter der Überschrift Berührungsängste

Olga Radetzkaja lebt in Berlin, übersetzt Literatur aus dem Russischen (und Französischen), sie ist Co-Autorin des Dokumentarfilms „Spurwechsel. Ein Film vom Übersetzen“ (2003), wurde 2019 mit dem Straelener Übersetzerpreis ausgezeichnet, und 2020 zusammen mit ihrer Autorin Maria Stepanova mit dem Brücke Berlin Preis.

(11.3.2021)