Von Hinrich Schmidt-Henkel

 

Liebe Bärbel Flad, lieber Helmut Flad, liebe Vertreter des Hauses Kiepenheuer & Witsch, liebe Kolleginnen und Kollegen, verehrte Jury der Übersetzerbarke, liebe Antje te Brake, meine Damen und Herren,

im Namen des Verbandes der Literaturübersetzer, des VdÜ, begrüße ich Sie zur diesjährigen Verleihung der Übersetzerbarke, unserer Auszeichnung für Persönlichkeiten oder Institutionen, die sich in besonderer Weise um das Übersetzen oder die Literaturübersetzer verdient gemacht haben. Dieses Jahr hat die unabhängige Jury, bestehend aus unseren Kollegen Christiane Buchner, Frank Heibert und Tobias Scheffel, sie Bärbel Flad zuerkannt, der Lektorin, ja Lektorenlegende Bärbel Flad. Wer sie kennt, weiß, dass sie sich nicht gerne feiern lässt. Liebe Bärbel, da musst du jetzt durch, und das tut mir nicht leid!

Wie immer nutzen wir die Barkenverleihung, um auf unsere Präsenz hier im „Weltempfang - Zentrum für Literatur, Politik und Übersetzung“ hinzuweisen. Wir Literaturübersetzer treten hier ebenso wie unser Schwesterverband, der Bund der Dolmetscher und Übersetzer BDÜ, mit Veranstaltungen und Informationsständen in Erscheinung. Ein großer Publikumsmagnet ist immer der „Gläserne Übersetzer“ -  jenes Life-Schauspiel, bei dem das staunende Publikum einen konkreten Eindruck von der hochkomplexen Tätigkeit des Literaturübersetzens bekommt.

Herzlichen Dank auch dieses Jahr wieder unseren Frankfurter Kolleginnen, die für eine Dauerpräsenz an unserem Stand sorgen, ebenso an Annette Kopetzki und Ingo Herzke, die koordinierend für die Aktivitäten des VdÜ auf dem Weltempfang wirken, und an Antje te Brake, unsere bewährte Ansprechpartnerin auf Seiten der Buchmessengesellschaft! (Sie dürfen klatschen).

Bärbel Flad müsste im Prinzip nicht nur eine Auszeichnung von den Übersetzern erhalten, im Prinzip müsste ihr Verlag, Kiepenheuer & Witsch in Köln, eine zusätzliche Auszeichnung für sie erfinden. 40 Jahre im selben Haus! - Buchhändlerlehre dort Anfang der 60er Jahre, danach Studium und freie Mitarbeit, nach dem Studium Festanstellung, 1981 Übernahme des Auslandslektorats, und das bis zur Rente, nein, auch danach, wieder als Freie, feiner gesagt als „Senior Editor“.

Auslandslektorat - das ist das Stichwort. Literatur im Ausland entdecken und ins Deutsche bringen, dazu braucht es Spürsinn, und dazu braucht es ein Ethos im Umgang mit den Übersetzern. Die wunderbar pragmatische Bärbel Flad wird jetzt vielleicht sagen, ach was, Ethos, man muss einfach ordentlich miteinander umgehen. Ja ja, schon wahr. Dass  aber ordentliches Miteinanderumgehen zur Zuerkennung der Übersetzerbarke führen würde, so bescheiden sind wir dann doch noch nicht, trotz des heute zu beklagenden Niedergangs der Lektoratskultur. Einer Kultur, die von Bärbel Flad und jenen, die von ihr gelernt haben, hochgehalten wird. Unbestechliches Bestehen auf der Qualität der gemeinsamen Sache, Respekt vor den Belangen aller Seiten, garniert mit der Fähigkeit, sich und andere nicht zu ernst zu nehmen, schon gar keine angemaßten Autoritäten, ein feines Ohr, Sprachmacht, unverkrampfte Sorgfalt, Fürsorge und Strenge … dazu furchterregender Fleiß und ein fast noch fürchterlicheres Talent zum Frühaufstehen - oder Zwang zum Frühaufstehen, und fürchterlich vor allem für sie selbst …?

Jeder, der mit Bärbel Flad gearbeitet hat, denkt mit Entzücken an die mit Bleistift beschriebenen Blätter voller Anmerkungen, mit denen sie die redaktionellen Korrekturen begleitet. Wie sie mit einem „jetzt stellen wir uns mal ganz dumm“ einen der typischen übersetzerischen „Denkkrämpfe“ auflöst. Wie sie darauf achtet, sich mit Änderungs­vorschlägen nicht selbst „reinzuquetschen“ - auch das ihr eigenes Wort. Wie sie im Verlag für unsere Belange wirkte und sich auch nach außen vor die Übersetzer stellt, notfalls selbst dem Autor gegenüber.

Ich rede aus eigener Erfahrung. Da gibt es einen Autor, der gut deutsch kann, wirklich sehr gut. Mittlerweile arbeite ich auch bestens mit ihm zusammen. Aber bei meiner ersten Übersetzung eines seiner Bücher konnte er so gar nicht darüber hinwegkommen, dass ich vieles anders machte, als wenn er seinen Text selbst ins Deutsche übersetzt hätte. Das hätte leicht eine ganz und gar verfahrene und verhakte Situation werden können. Bärbel Flad reiste zu ihm, wo sie in vielen langen, geduldigen Stunden meine Sache verteidigte. Ich hatte ihr freie Hand gegeben und gesagt: „Was du mit ihm aushandelst, ist in Ordnung.“ So jemanden muss man erst mal finden, dem man das sagen kann.

Bärbel Flad hat immer aktiv Nachwuchspflege betrieben - auf Lektoren- wie auf Übersetzerseite. Zahlreiche Kollegen berichten, dass sie viel von ihr gelernt haben, einfach so, als Nebenprodukt der Zusammenarbeit. Außerdem hat sie in den 90er Jahren im Studiengang „Literaturübersetzen“ in Düsseldorf Berufskunde unterrichtet. Sie gab und gibt ihre Kenntnisse weiter in den Seminaren des Übersetzerfonds mit dem Titel „Wie redigiere ich mich selbst?“, die sie gemeinsam mit unserer Kollegin Rosemarie Tietze hält. So lässt sie uns auch im sogenannten Ruhestand weiter von ihrer immensen Erfahrung profitieren. Das tut sie übrigens auch bei den vielen, vielen Gesprächen auf unserer jährlichen Arbeitstagung, zu der sie regelmäßiger anreist als irgend eine Lektorin sonst; sie gehört einfach dazu! Und oft genug gehört sie zu den Letzten in jenen langen Nächten aus Gespräch, Tanz und Genuss, in denen sie uns bisweilen rückblickend an 50 Jahren Geschichte des Literaturmachens teihaben lässt, von der Zeit an, wo sie Heinrich Bölls rechte Hand bei der Übertragung von Salingers „Der Fänger im Roggen“ war (sie selbst sagt dazu: Rechte Hand? Iwo, seine Tippse war ich!) bis dahin, wie sie Don DeLillo für Deutschland entdeckte, einen Autor, der Lektoren wie Übersetzern - und auch den Lesern - alles abverlangt und alles gibt. Die Reihe der von ihr auf deutsch betreuten Autoren ist lang und illuster.

Die Übersetzerbarke hat die Gestalt eines jeweils eigens geschaffenen Kunstwerks. Dieses Jahr ist es ein Gemälde des in Bonn lebenden italienischen Malers Enrico Calderoni, ebenfalls eines großen Übersetzerfreundes, den wir sehr herzlich in unserer Mitte begrüßen: Benvenuto, Enrico! Sein Bild heißt „Nuotatrice chi traduce l´ombra“ - „Schwimmerin, den Schatten übersetzend“ und stammt aus einer Werkreihe von traumähnlich durchs Wasser, durch die Luft, vielleicht auch durch Gedanken oder Sprache schwimmenden Figuren. Die abstrakten Räume, in denen sie sich bewegen, lassen viele Assoziationen zu, sie sind eine Verbindung von Offenheit und Prägnanz.

Liebe Bärbel, die Übersetzerinnen und Übersetzer sind dir voller Freundschaft und Respekt verbunden. Es ist uns ein großes Vergnügen, dir die diesjährige Übersetzerbarke zu überreichen, wozu ich dich jetzt hier zu mir bitte.